7.7.2021
Bevor dieses Portal entstanden ist, haben wir als Team Motto-Tsunagu mit dem Ziel, ein praxistaugliches Portfolio für Eltern und Kinder zu schaffen, in Deutschland und anderen Ländern Workshops und Seminare veranstaltet und gemeinsam mit unseren vielen Teilnehmer*innen über die sprachlichen Fähigkeiten unserer Kinder nachgedacht. Währenddessen haben wir zahlreiche Ideen und Ratschläge, sowie warmherzige Ermutigungen erhalten, so dass wir das Watashigo-Portfolio (Mein Sprachenportfolio) schließlich fertig stellen konnten. Es ist uns eine große Freude, es durch dieses Portal an viele Menschen weitergeben zu können. Vier von uns haben an der Erstellung des Portfolios mitgewirkt, fünf von uns führen derzeit das Projekt weiter.
Jedes Watashigo ist eine einzigartige Glasmurmel
Das Watashigo (Okumura 2019, wörtlich: „Ich-Sprache“) im Titel des Portfolios bezieht sich auf das gesamte Sprachrepertoire, das ein einzelner Mensch als sprechendes Lebewesen zur Verfügung hat. Dieser individuelle Wortschatz eines Menschen setzt sich beispielsweise zusammen aus dem Japanisch, das er im Alltag oder in den Nachrichten hört, der Sprache, die täglich in seinem Lebensumfeld gesprochen wird, dem Fremdsprachenwortschatz, den er sich durch Lernen oder Reisen angeeignet hat, sowie Wörtern, die in Geschichten und Filmen vorkommen oder von Animefiguren verwendet werden. In unserem Team ziehen wir gerne Glasmurmeln als Vergleich heran. Wie jede Glasmurmel besteht auch das Watashigo eines jeden Menschen aus vielen unterschiedlichen, bunt ineinanderfließenden Farben.
Für alle, die Kinder in einem plurilingualen (mehrsprachigen) Umfeld großziehen
Haben Sie sich auch schon einmal gefragt: „Muss mein Kind überhaupt Japanisch lernen, wenn es gar nicht in Japan aufwächst?“ „Was für einen Sinn hat es für mein Kind, Japanisch zu können?“ „Was erhoffe ich mir vom Japanisch meines Kindes?“ „Was können ich und andere Erwachsene in seinem Umfeld dafür tun?“
Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen haben wir viel Erhellendes im plurilingualen und plurikulturellen Gedanken, sowie im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR, CEFR) gefunden. Unser daraus gewonnenes Wissen haben wir in 5 Punkten zum Fördern des Watashigo plurilingualer Kinder zusammengefasst. In der Anleitung zum Watashigo-Portfolio ist das gesamte Programm im Detail nachlesbar. Im Folgenden möchte ich es kurz zusammenfassen.
5 Punkte, die wir allen mitgeben möchten
Punkt 1 – Respektieren Sie das Watashigo Ihres Kindes
Machen Sie sich bewusst, dass das Watashigo Ihres Kindes anders ist als Ihres und befreien Sie sich diesbezüglich von Ihren Idealvorstellungen. Sehen Sie sich das Watashigo Ihres Kindes genau an und fördern Sie liebevoll, was Sie dort vorfinden.
Punkt 2 – Planen Sie Ihren Umgang mit Sprache als Familie
Um bei einem Kind, das in einem plurilingualen Umfeld aufwächst, ein umfassendes Watashigo aufzubauen, bedarf es der Unterstützung durch Familienmitglieder und andere Erwachsene in seinem Umfeld. Überlegen Sie sich als Familie, welche Sprachen zu Hause eingeführt werden sollen und wie Sie das umsetzen. Bleiben Sie dabei flexibel und passen Sie Ihre Planung jeweils an die Entwicklung und Lebenssituation Ihres Kindes an.
Punkte 3 – Finden Sie heraus, was Ihr Kind schon kann und 4 – Achten Sie auf leicht übersehbare Fähigkeiten Ihres Kindes
Japanischen Eltern, die ihre Kinder außerhalb Japans großziehen, sticht beim Japanisch ihrer Kinder oft unwillkürlich das ins Auge, was sie nicht können. Uns als Teammitgliedern ging es genauso. Wenn man jedoch immer nur gesagt bekommt, was man nicht kann, verliert man selbst als Erwachsener die Motivation.
Wenn Sie sich Mühe geben und es geschickt anstellen, können Sie jedoch positive Bemerkungen machen wie: „Wenn dir jemand sagt, wie die Kanji ausgesprochen werden, kannst du japanische Bilderbücher und Kinderbücher schon selbst laut vorlesen!“ und das, was Ihr Kind im Japanischen schon kann, wird sich schlagartig vermehren. Das gilt auch für andere Bereiche. Wenn Sie beispielsweise auf Japanisch sagen: „Kannst du bitte den Tisch decken?“ und Ihr Kind folgt Ihren Anweisungen, beweist es damit Fähigkeiten im Hörverstehen. Oder nehmen wir an, Sie gehen an blühenden Kirschbäumen vorbei, und Ihr Kind murmelt: „Wie in Japan!“ Selbst wenn es das nicht auf Japanisch sagt, können Sie daraus entnehmen, dass Ihr Kind Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Kultur vor Ort und der Kultur Japans bemerkt und anerkennend darauf eingehen, indem Sie beispielsweise sagen: „Tatsächlich. Was du alles merkst!“ Wenn Ihr Kind häufiger diese Art von Feedback bekommt, wird es nach und nach mehr Selbstbewusstsein entwickeln.
Auch zeigt sich die sprachliche Weiterentwicklung eines Kindes nicht unbedingt nur im Ansteigen des sprachlichen Schwierigkeitsgrades, sondern auch in der Ausweitung der Fähigkeiten, diese Sprache praktisch anzuwenden. Wenn Eltern und andere Erwachsene dem Kind ein positives Gefühl geben, indem sie ihm sagen: „Oh, du kannst ja schon dies!“ oder „Toll, du kannst ja schon das!“, wird das Kind motiviert sein, sein Japanisch weiter zu verbessern, von selbst den nächsten Schritt machen und beschließen: „Als nächstes möchte ich das lernen!“ Diese Dynamik ist unerlässlich, damit das Kind Eigenmotivation entwickelt, sein Watashigo weiter auszubauen.
Punkt 5 – Glauben Sie an die Fähigkeit Ihres Kindes, Menschen und Kulturen zu verbinden
Indem sie auf natürliche Weise von klein auf mit verschiedenen Kulturen in Berührung kommen, entwickeln Kinder die Fähigkeit, Grenzen zu überwinden und sich mit Menschen und Kulturen zu verbinden. Auch wenn Sie es anfangs nicht gleich sehen können, glauben Sie an diese Fähigkeit Ihres Kindes und erkennen Sie sie auch im Kleinsten an.
Möge das Watashigo-Portfolio viele Menschen zusammenbringen!
Als Team Motto-Tsunagu hoffen wir, durch den Ansatz des Watashigo-Portfolios nicht nur plurilinguale Kinder mit japanischem Hintergrund in Deutschland, sondern auch in allen anderen Ländern der Welt, sowie plurilinguale Familien einschließlich ihrer nicht Japanisch-sprechenden Familienmitglieder näher zusammenzubringen.
Quellen
FUKUSHIMA Seiji (2014) „Watashi no kazoku no gengo sēsaku“ in Japanisches Kultur und Sprachenzentrum „Tsunagu – Watashi, kazoku, nihongo: doitsu hatsu kaigai ni sumu kodomotachi no nihongo shūtoku, keishō wo kangaeru sasshi“ Essay 1, pp.7-17*
OKUMURA Minako (2014) ) „CEFR to iu okurimono – Kodomo mo otona mo ki ga raku ni naru CEFR no yottsu no pointo“ in Japanisches Kultur und Sprachenzentrum „Tsunagu – Watashi, kazoku, nihongo“ Essay 2, pp.18-29*
OKUMURA Minako (2019) „Ōshū ni okeru keishō nihongo kyōiku to ōshūgengo kyōtsū sanshōwaku (CEFR)“ in KONDO-BROWN Kimi „Oya to ko wo tsunagu keishōgokyōiku – Nihon, Gaikoku ni rūtsu wo motsu kodomo“ Teil 2, Kapitel 12, veröffentlicht von Kuroshio