Überlegungen über Plurilingualität / Plurikulturalität

Überlegungen über Plurilingualität / Plurikulturalität

Neue Abenteuer kleiner Linguisten

Yuki Hirose, Professorin an der Graduate School of Arts and Sciences, Universität Tokyo

Kinder lernen ihre Muttersprache, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Selbst wenn in ihrem Haushalt zwei Muttersprachen gesprochen werden (auch die Sprache des Vaters nennen wir schließlich „Muttersprache“), stellen sie irgendwann fest, dass in ihrem Umfeld zwei Sprachen gesprochen werden, und versetzen uns mit ihrer Lernfähigkeit ins Staunen. Das ist der Grund, aus dem Kinder auch „kleine Linguisten“ genannt werden. Als Erwachsene können wir uns jedoch, selbst wenn wir es versuchen, meist kaum noch daran erinnern, wie wir unsere Muttersprache erlernt haben.

Wie hingegen sieht es mit unserer Zweitsprache aus? Ich selbst bin in Japan zur Schule gegangen und kann mich vage daran erinnern, wie ich anhand eines Lehrbuchs meine erste Zweitsprache Englisch gelernt habe, aber das ist natürlich etwas ganz anderes als die Erfahrung, sich innerhalb der Alltagskommunikation auf natürliche Weise eine Sprache anzueignen.

Vor 6 Jahren bin ich mit meinem Sohn, der damals in die zweite Klasse ging und nur mit Japanisch aufgewachsen ist, für 8 Monate nach Hawaii gegangen. Als er in der dortigen Grundschule anfing, war er 7 Jahre alt, so dass er mit dem Erwerb seiner Zweitsprache Englisch begann, als er den Lernprozess seiner Muttersprache Japanisch so gut wie abgeschlossen hatte.

Anders als bei Kindern, die vom Babyalter an zweisprachig aufwachsen, fing er mit dem Erwerb der Zweitsprache also an, nachdem er seine Muttersprache (abgesehen vom Wortschatz) bereits mehr oder weniger vollständig erlernt hatte, so dass der Einfluss seiner Muttersprache Japanisch deutlich erkennbar war. Das war interessant zu beobachten.

Japanisch beeinflusstes Englisch

Einige Beispiele im Kontext:

2017.10.06

“Saturday is not school. Friday is party ok?”

Mitteilungsabsicht: (Morgen habe ich Geburtstag, aber morgen ist ja Samstag, und)

Samstag ist ja keine Schule. Können wir Freitag feiern?

In der dortigen Grundschule war es üblich, dass die Kinder an ihrem Geburtstag Süßigkeiten mitbringen, in der Klasse verteilen, und zusammen essen durften. Mein Sohn erzählte mir also zu Hause, er habe den Lehrer gefragt, ob er, da er ja leider an einem schulfreien Samstag Geburtstag hatte, einen Tag früher feiern dürfe.

“Saturday is not school. Friday is party ok?… “ würde man in dieser Form als englischer Muttersprachler natürlich nie sagen, aber dankenswerterweise verstand der Lehrer ihn und gab ihm sein Okay. Als die anderen Kinder ihn mit den Süßigkeiten in die Schule kommen sahen, wussten sie natürlich sofort Bescheid und riefen allesamt: „Happy birthday!“, was zu einer schönen Erinnerung für ihn geworden ist.

Hier ein weiteres Beispiel: Mit dem untenstehenden Satz versuchte mein Sohn, zu sagen, dass er nach der Schule nicht zum Japanischunterricht kommen würde. Seine dortige Japanischschule war vor über hundert Jahren zum Aufrechterhalten der muttersprachlichen Fähigkeiten japanischer Einwandererkinder der zweiten und nachfolgenden Generationen („Nikkei“) gegründet worden, aber auch andere Kinder lernten dort Japanisch als Zweit- oder Herkunftssprache.

2017.11.21

“Today is not coming to Japanese school.”

Mitteilungsabsicht: Heute komme ich nicht zum Japanischunterricht.

Man mag sich wundern, warum ich meinen Sohn als japanischen Muttersprachler zum Japanischunterricht schickte, aber da er im regulären Schulunterricht der einzige war, der kein Englisch konnte, dachte ich, es könnte interessant für ihn sein, nachmittags die umgekehrte Erfahrung zu machen. Als einziger Schüler, der perfekt Japanisch sprach, war er für die Lehrkräfte der Japanischschule Gold wert, was sicherlich ein schönes Gefühl für ihn war. Dass er als Japaner aus Japan Japanisch konnte, war zwar selbstverständlich und keine außergewöhnliche Leistung, aber im Umkehrschluss bedeutete das auch, dass es für ihn ebenso natürlich war, kein Englisch zu sprechen, und er sich deshalb nicht dumm vorkommen musste. Für andere Kinder hingegen war Japanisch eine Fremdsprache, und ich wollte, dass er auch das mit eigenen Augen sah. Als er nun dem Lehrer mitteilen wollte, dass er an diesem Tag nicht am Japanischunterricht teilnehmen würde, sagte er: „Today is not coming to Japanese school.“ – seinem Gefühl nach die englische Entsprechung des japanischen

今日お休みしま〜す

kyō ha oyasumi shimasu

heute (Partikel zur Markierung des Satzthemas) Pause machen

Auf Japanisch würden die beiden oben aufgeführten Äußerungen 1) bezüglich der Geburtstagsfeier und 2) des Fernbleibens vom Japanischunterricht wie folgt lauten:

1)

土曜日 学校ありません。金曜日はお祝いしていいですか。

Doyōbi ha gakkō arimasen. Kinyōbi ha oiwai shite ii desu ka.

Deutsche Rekonstruktion des japanischen Satzbaus:

Samstag [Partikel zur Markierung des Satzthemas] Schule nicht sein. Freitag feiern ist es in Ordnung?

2)

今日日本語教室行きません。

Kyō ha nihongokyōshitsu ni ikimasen.

Deutsche Rekonstruktion des japanischen Satzbaus:

Heute (Partikel zur Markierung des Satzthemas) Japanischunterricht zum nicht kommen.

Im Japanischen ist es hier üblich, das Subjekt „ich“ oder „wir“ wegzulassen. Stattdessen fängt man die Sätze mit den Wörtern „Samstag/Freitag/Heute“ an. Diese haben jeweils die Funktion, das Thema des Satzes anzukündigen – sie sind zwar nicht das Subjekt, aber etwas ähnliches. Auch im Japanischunterricht in Japan lernt man, dass der angehängte Partikel は ha (gesprochen: „wa“ wie der Anfang der englischen Wörter „wow“, „wild“ und „one“) einen Satzteil markiert, der „beinahe wie ein Subjekt“ ist.

Daher war es nachvollziehbar, dass mein Sohn die Wörter Saturday / Friday / Today praktisch verwendete, als seien sie das jeweilige Subjekt im Satz. Er wendete sein Wissen über die japanische Sprache auf seine Zweitsprache an und konstruierte entsprechend seine englischen Sätze. Auch wenn diese Herangehensweise im Englischen zunächst einmal zu Fehlern führte, fand ich sie vielversprechend.

Automatische Updates für die Zweitsprache

Am nächsten Tag äußerte mein Sohn sich dem Lehrer gegenüber mit der gleichen Mitteilungsabsicht (lassen wir es an dieser Stelle durchgehen, dass er zwei Tage hintereinander nicht zum Japanischunterricht ging…), aber sein Satzbau hatte sich leicht verändert.

2017.11.22

Today is I’m not coming to Japanese school.

Mitteilungssabsicht: Heute komme ich nicht zum Japanischunterricht.

Ich kann nur mutmaßen, was an diesem Tag in seinem Kopf geschehen war, aber vielleicht hatte er plötzlich gespürt, dass „Today“ nicht das zu „coming to Japanese School“ gehörige Subjekt sein konnte. Da er jedoch nach wie vor das aus dem Japanischen übernommene Prinzip anwendete, den Satz mit „Heute“ anzufangen, kam dabei diesmal eine Konstruktion heraus, die grammatikalisch im Englischen noch seltsamer und unnatürlicher klang. Für mich, die von der Seite aus zuhörte, war darin jedoch trotzdem ein eindeutiger Fortschritt zu erkennen.

In der Forschung zum Mutterspracherwerb wird häufig betont, dass Kinder gegenüber kritischen Aussagen von Erwachsenen wie: „So sagt man das aber nicht!“ ausgesprochen stur sind – mit anderen Worten, wenn man sie korrigiert, hören sie nicht zu. Stattdessen verbessern sie sich durch Versuch und Irrtum nach und nach selbst.

Dass dieser natürliche Lernprozess auch beim Erwerb der Zweitsprache funktioniert, habe ich an den seltsamen Englischkreationen meines Sohnes gesehen. Es war also gar nicht nötig, ihn zu ermahnen: „Dein Englisch gestern war falsch, und heute war es noch unnatürlicher! Du hättest sagen müssen: I’m not coming to ~~ today!“, oder mir den Kopf darüber zu zerbrechen, dass er sich etwas falsch einprägen könnte. Alles, was wir als Eltern tun müssen, ist, unsere Kinder in ihrem Streben zu schätzen und uns daran zu erfreuen.

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Weitere Veröffentlichungen von Yuki Hirose:

ちいさい言語学者の冒険-子どもに学ぶことばの秘密』(岩波科学ライブラリー)

Chiisai gengogakusha no bōken – kodomo ni manabu kotoba no himitsu (Kleine Linguisten – Sprachgeheimnisse, die wir von Kindern lernen können), Iwanami Kagaku Library

ことばとともだちになる しりとりきょうしつ』(小学館)

Kotoba to tomodachi ni naru shiritori kyōshitsu (Mit der Sprache Freundschaft schließen durch das Wortreihenspiel „Shiritori“), Shōgakukan

子どもに学ぶ言葉の認知科学』(ちくま新書)

Kodomo ni manabu kotoba no ninchikagaku (Was wir von Kindern über Kognitive Linguistik lernen können), Chikuma Shinsho

ことばと算数 その間違いにはワケがある』(岩波科学ライブラリー)

Kotoba to sansū sono machigai ni ha wake ga aru (Fehler beim Sprachen- und Rechnenlernen haben ihren Grund), Iwanami Kagaku Library

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