Überlegungen über Plurilingualität / Plurikulturalität

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Das Gesetz zur Förderung der japanischen Sprachbildung und seine Ziele

Toshiko Calder, Ehemalige Vorsitzende der Japanese as a Heritage Language Special Interest Group innerhalb der Japanese Society for Mother Tongue, Heritage Language, and Bilingual Education / Dozentin an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies

Haben Sie schon einmal vom „Gesetz zur Förderung der japanischen Sprachbildung“ (nihongo kyōiku suishinhō) gehört? Es handelt sich um ein neues Gesetz, in dem die japanische Regierung sich verpflichtet, Menschen, welche die japanische Sprache lernen möchten oder müssen, angemessen zu unterstützen. Es wurde im Juni 2016 vom japanischen Parlament verabschiedet, entstanden aus der Notwendigkeit den japanischen Spracherwerb einer wachsenden Zahl ausländischer Arbeitskräfte in Japan sinnvoll zu gestalten.

Ein weiteres Anliegen dieses Gesetzes ist die Förderung des japanischen Sprachunterrichts im Ausland, um die Internationalisierung Japans voranzutreiben. Damit erstreckt sich der Förderungsbereich des Gesetzes auch auf die zahlreichen Kinder japanischer Abstammung außerhalb Japans, denen wir die japanische Sprache näherbringen möchten. Das Gesetz zur Förderung der japanischen Sprachbildung ist somit eine zentrale Rechtsgrundlage für die Kindererziehung im Ausland und stellt eine wichtige Entwicklung dar, die für viele Lehrer:innen und Eltern von großem Interesse sein dürfte.

Um etwas ins juristische Detail zu gehen: Im Gesetz heißt es in Kapitel 3, Abschnitt 2 Japanische Sprachbildung für Kinder von Japanerinnen im Ausland etc.: „Um die japanische Sprachbildung von Kindern im Ausland wohnhafter Japaner:innen sowie von Nachkommen etc. ins Ausland emigrierter Japaner:innen auszubauen, hat der Staat die Voraussetzungen zur Unterstützung der japanischen Sprachbildung für diese Personen zu schaffen sowie darüber hinaus notwendige Maßnahmen zu ergreifen.“ Vereinfacht ausgedrückt verpflichtet sich die japanische Regierung hiermit, die Spracherziehung dauerhaft im Ausland lebender Kinder japanischer Abstammung zu unterstützen. Damit wird erstmals eine gesetzliche Regelung geschaffen, die uns der Verwirklichung eines langgehegten Wunsches ein Stück näherbringt.

Wie einige Leser:innen vielleicht wissen, ist diese gesetzliche Verankerung der Unterstützung des Spracherwerbs japanischstämmiger Kinder im Ausland dem tatkräftigen Einsatz von mehr als 2000 im Ausland lebenden Eltern und Lehrkräften und ihren Mitstreiter:innen zu verdanken. Ich möchte hier rückblickend darauf eingehen, wie es zu dieser Aktion kam und aus welcher Motivation heraus Menschen daran mitgewirkt haben.

 

Vorgeschichte

Für Familien, deren Lebensmittelpunkt dauerhaft im Ausland liegt, ist es ein intrinsischer Wunsch, die Sprache des eigenen Herkunftslandes an die Kinder weiterzugeben. Egal aus welchem Land oder Sprachraum jemand stammt – der Satz: „Ich möchte mit meinem Kind in meiner Sprache sprechen,“ hat großes Identifikationspotential. Das gilt auch für die Menschen, die vor dem Zweiten Weltkrieg en masse aus Japan nach Nord- und Südamerika sowie Hawaii emigriert sind und dort unter großen Mühen japanischsprachige Schulen gegründet und betrieben haben. Die Chroniken dieser Diasporagemeinden lese ich immer mit großer Rührung.

Der Wunsch, die eigene Sprache an die nächste Generation weiterzugeben, entstand auch bei vielen Menschen, die sich in der wirtschaftlichen Blütezeit nach dem Krieg persönlich für ein dauerhaftes Leben im Ausland entschieden. Die Zahl der japanischen Eltern, darunter auch viele Mütter und Väter in internationalen Ehen, die Kleinkindkurse oder Eltern-Kind-Treffs ins Leben rufen oder sich in den japanischen Wochenendschulen engagieren, wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt.

Ein Großteil der Migrant:innen dürfte es als persönliche Verantwortung betrachtet haben, sich um die japanische Spracherziehung der eigenen Kinder im Ausland zu kümmern. Für viele Eltern stand wahrscheinlich fest: „Da ich mich aus freien Stücken für ein Leben im Ausland entschieden habe, steht es mir nicht zu, von der japanischen Regierung Unterstützung bei der Sprachpflege meiner Kinder zu erwarten.“

Zwar sieht Artikel 26 der japanischen Verfassung eindeutig vor: „Alle Bürger haben das Recht, gemäß gesetzlichen Vorgaben eine ihren Fähigkeiten entsprechende gleiche Bildung zu erhalten.“ Bisher vertrat die japanische Regierung jedoch stets den Standpunkt, dass dies sich auf eine in Japan stattfindende Bildung beziehe, und die gesetzlichen Bestimmungen nicht auf die Bildung außerhalb des japanischen Hoheitsgebiets anwendbar seien, auch wenn sie sich an Kinder mit japanischen Wurzeln richten.

Dennoch erhalten viele der vom japanischen Staat anerkannten japanische Schulen und Ergänzungsschulen (hoshūkō) im Ausland staatliche Zuwendungen für die Finanzierung der Lehrergehälter und der Schulraummiete. Dahinter verbirgt sich offenbar der ungeschriebene Grundsatz, Kinder im Schulalter im Sinne der Verfassung nach Möglichkeit zu unterstützen, auch wenn diese im Ausland leben. Schaut man jedoch genauer hin, so zeigt sich, dass staatlich anerkannte Ergänzungsschulen oft interne Regeln besitzen, die herkunftssprachliche Bildungsangebote von der Förderung durch das Bildungsministerium (MEXT) ausnehmen, wenn diese nicht dem offiziellen Lehrplan folgen. Als Bildungseinrichtungen, die in der Phase des japanischen Wirtschaftswunders für Kinder vorübergehend im Ausland tätiger Japaner:innen geschaffen wurden, verweigern die Ergänzungsschulen Kindern ohne feste Absicht zur Rückkehr nach Japan zwar nicht die Aufnahme, spezieller herkunftssprachlicher Unterricht und internationale Klassen für Kinder aus dauerhaft im Ausland lebenden Familien sind jedoch grundsätzlich nicht Gegenstand der MEXT-Förderung. Vermutlich haben diese gesetzlichen und systemseitigen Einschränkungen bei vielen Eltern, die sich dauerhaft im Ausland niederlassen wollen, den Eindruck geweckt, die japanische Spracherziehung ihrer Kinder selbst in die Hand nehmen zu müssen.

 

Weltweit vernetzte Unterschriftenaktion

In diesem Kontext zog der im Sommer 2018 veröffentlichte Entwurf für ein Gesetz zur Förderung der japanischen Sprachbildung die Aufmerksamkeit zahlreicher Familien und Lehrkräfte im Ausland auf sich. Wie bereits erwähnt, lag das Hauptaugenmerk des Gesetzes zwar auf einer qualitativen Verbesserung der Sprachbildung für ausländische Arbeitnehmer:innen in Japan, deren Unterstützung durch den Staat im Gesetzentwurf ausdrücklich geregelt wurde, doch auch der Ausbau der japanischen Spracherziehung im Ausland war Gegenstand des Gesetzesvorhabens. Die Förderung richtete sich jedoch laut Entwurf nur an zwei Zielgruppen: 1. Nichtmuttersprachliche Lernende, die unter anderem in Schulen und Japanischkursen im Ausland Japanisch als Fremdsprache lernen; 2. Kinder im Ausland lebender Japaner:innen etc. Eine Unterstützung des herkunftssprachlichen Spracherwerbs für dauerhaft im Ausland lebende Kinder mit japanischen Wurzeln wurde im Gesetzentwurf nicht erwähnt.

Als diese Informationen im Frühsommer 2018 über das Internet japanische Communities weltweit erreichten, kam bei den Familien und Lehrer:innen zunächst die Frage auf, inwieweit die Formulierung Kinder im Ausland lebender Japaner:innen etc. auch die Kinder dauerhaft emigrierter Menschen umfasste. Viele vertraten die Meinung, hiermit seien nur japanische Staatsangehörige gemeint, die nach vorübergehendem Aufenthalt im Ausland nach Japan zurückkehren würden. In den Online-Foren kam die Idee einer Unterschriftenaktion auf, die eine entsprechende Korrektur des Gesetzentwurfes fordern sollte.

Die Organisation dieser Unterschriftenaktion fiel einer Arbeitsgemeinschaft namens Japanese as a Heritage Language Special Interest Group innerhalb der Japanese Society for Mother Tongue, Heritage Language, and Bilingual Education zu, deren Vorsitzende ich bin. Für die Arbeitsgemeinschaft und viele ihrer aktiven Mitglieder wurde diese Aktien zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Ermutigt von Menschen aus der ganzen Welt richtete die AG Mitte Oktober 2018 eine Online-Petition mit den entsprechenden Forderungen ein und begann über ihre Mitglieder Unterschriften zu sammeln. Die Resonanz war erstaunlich: Die Petition wurde in Nordamerika, Europa, Asien und weltweit geteilt, so dass innerhalb von ca. zwei Wochen nach Einrichtung der Seite mehr als 2000 Unterschriften mit knapp 500 Kommentaren zusammenkamen. Ich hatte damals die Petitionsseite ständig im Auge und verfolgte gebannt, wie eine Welle von Unterschriften eintraf, sobald in einer Zeitzone der Tag anbrach, und sich diese Wellen mit der Zeit von Region zu Region fortsetzten. Es war ein erhebendes Gefühl, zu sehen, wie einander unbekannte Menschen aus allen Ecken der Welt gemeinsam für dieselbe Sache eintraten.

Die Unterschriften kamen aus einem sehr vielfältigen Kreis von Menschen, die sich überall auf der Welt um eine gute Kindererziehung bemühen: Lehrer:innen und Mütter aus internationalen Paaren, die Wochenendschulen und Kleinkindkurse betreiben; Eltern, die – als Familie auf sich selbst gestellt – unter großen Anstrengungen die japanische Sprache an ihre Kinder weitergeben; Erziehungsberechtigte, die sich an vom MEXT anerkannten Ergänzungsschulen für die Schaffung eines für Kinder in einem mehrsprachigen Umfeld geeigneten Lehrplans einsetzen. Die mit den Unterschriften zusammen eingegangenen Kommentare enthielten eindringliche Bitten wie die Forderung nach Unterstützung bei der Erstellung von Lehrmaterialien für Kinder mit langer Auslandsbiografie, bei der Anmietung von Räumlichkeiten und bei der Ausbildung von Lehrkräften oder auch den Wunsch nach Online-Erziehungsberatung. Allein gemein war die feste Überzeugung, dass gerade Kinder, die im Ausland mehrsprachig aufwachsen, als künftige Arbeitskräfte mit echter internationaler Kompetenz einer Unterstützung durch den Staat bedürfen.

 

Was die Aktion politisch auslöste

Als ich nach Tokio reiste, um die gesammelten Unterschriften den führenden Abgeordneten der Parlamentariergruppe zur Förderung der japanischen Sprachbildung zu übergeben, die das Gesetzesvorhaben initiiert hatte, zeigten sich diese ehrlich erstaunt über die große Zahl von Menschen, die sich für den Erwerb der japanischen Sprache bei dauerhaft im Ausland lebenden Kindern einsetzen. Mir selbst öffnete diese Erfahrung die Augen dafür, wie wenig die politischen Entscheidungsträger in Japan über die Pflege des Japanischen als Herkunftssprache wissen, die für uns ein selbstverständlicher Teil des Alltags ist.

Die vielen Stimmen aus dem Ausland führten dazu, dass der Entwurf für das Gesetz zur Förderung der japanischen Sprachbildung um einen Passus zur Unterstützung des Spracherwerbs bei „Nachkommen etc. ins Ausland emigrierter Japaner:innen“ erweitert wurde. Das Gesetz wurde in dieser Form im Juni 2019 dem Parlament vorgelegt und verabschiedet. Es war ein grandioser Erfolg für die damals ca. 270 Mitglieder der Japanese as a Heritage Language Special Interest Group – allen voran Lehrer:innen aus Europa – die über Landesgrenzen hinweg zusammenarbeiteten und halfen, für genügend Aufmerksamkeit zu sorgen, so dass über 2000 Unterschriften zusammenkamen.

 

Die weitere Entwicklung

Ein Jahr nach der Verabschiedung des Gesetzes, im Frühling 2020, wurde ein Entwurf eines Regierungsplans zu dessen Umsetzung veröffentlicht und das Amt für kulturelle Angelegenheiten führte ein öffentliches Beteiligungsverfahren hierzu durch, im Zuge dessen wiederum mehrere hundert Stellungnahmen aus der ganzen Welt, unter anderem aus Südamerika, eingereicht wurden. Die Endfassung des Regierungsplans wurde daraufhin um eine Formulierung erweitert, die Nachkommen ins Ausland emigrierter Japaner:innen als „Hoffnungsträger der internationalen Kooperation mit multilingualem und multikulturellem Hintergrund“ anerkennt. Ihre Förderung wird explizit in die Hände der Japan Foundation gelegt. Damit wurde der Weg für eine staatliche Unterstützung der vielen lokalen Familien und kleineren Japanisch-Schulen geebnet, die jahrelang aus eigenen Mitteln heraus die herkunftssprachliche Spracherziehung gepflegt haben.

 

Ausblick

Wenngleich die staatliche Förderung gesetzlich verankert wurde, zeigt die anschließende Entwicklung, dass noch längst nicht alle Ziele der Bewegung erreicht sind. Da die Verabschiedung des Gesetzes nicht zur Bereitstellung zweckgebundener Mittel zur Förderung der herkunftssprachlichen Bildung durch die Japan Foundation innerhalb des Regierungs­haushaltes geführt hat, ist zu befürchten, dass diese nicht in der Lage sein wird, auf die Wünsche der lokalen Bildungsträger nach einer angemessenen und differenzierten Hilfe in ausreichender Form einzugehen. Gleichzeitig zeigt die Einrichtung von Arbeitsgruppen und Workshops mit einem Fokus auf mehrsprachige Familien durch die Zentren der Japan Foundation in Europa und anderen Regionen jedoch, wie sehr diese Art von Förderung den Mitarbeiter:innen am Herzen liegt. Unsere Aufgabe wird es sein, weiter dafür einzutreten, dass diese Beispiele Schule machen und dass eine umfassende staatliche Förderung für herkunftssprachliche Bildung weltweit gesichert wird.

Lehrer:innen und Eltern auf der ganzen Welt sind sich heutig darin einig, dass es zur gesellschaftlichen Verantwortung von Lehrenden gehört, sich dem Gesetzgeber gegenüber für eine bessere Bildung zum Wohle der Kinder zu engagieren. Auch wir, die wir im Ausland tätig sind, sollten uns diese Maxime zu eigen machen und immer wieder die Stimme erheben.

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